Kopfstand
Viparita-Karani-Mudra
Grundlegendes
Der Kopfstand zählt im Yoga zu den bekanntesten und beliebtesten Asanas. Besonders Menschen, die im Yoga geübt sind, möchten sich an diese Körperstellung heranwagen. Unter den Anfängern finden sich nur wenige, da viele Respekt und vor allem Angst haben, in diese Übung hinein zu gehen. Hierbei muss man den Menschen recht geben, denn der Kopfstand verlangt viel Körpergefühl und vor allem Achtsamkeit. Ein „Knackpunkt“ bildet die Halswirbelsäule, der eine tragende Rolle zukommt. Im Kopfstand ruht das Gewicht des ganzen Körpers auf den Armen und dem Kopf. Da diese Übung „Kopf“stand genannt wird, sollte auch Gewicht auf Kopf und Halswirbelsäule sein, da es sonst ja ein Unterarmstand wäre. In der Kopfstandhaltung ist Achtsamkeit und Körpergefühl, sowie Gleichgewicht gefragt. So ist es von Vorteil, wenn der Yogalehrer/-meister/-Guru, die Übung genau erklärt, damit grobe Fehler und somit gesundheitliche Risiken minimiert werden.
Der Kopfstand wird im modernen Yoga und vielen Traditionen als Shirshasana bezeichnet. Shirsha ist der Kopf und Asana eine Körperstellung im Yoga. Die Qualität dieser Übung wird anhand der Wirkungen auf Körper und das energetische System deutlich. In einigen Yogarichtungen wird er deshalb als „König der Asanas“ bezeichnet. Im traditionellen Yoga und den damit verbunden Schriften wird diese Übung als Viparita-Karani oder
bezeichnet. Viparita-Karani-Mudra bedeutet
Diese Bezeichnung beschreibt diese Haltung ein wenig deutlicher. Eine Mudra ist eine Übung, in der eine Körperstellung mit Atemkontrolle und Bandha kombiniert wird. Dies wird bei der richtigen Ausführung deutlich. Der Nacken befindet sich hierbei in Jalandhara-Bandha.
Der oberhalb des Nabels befindliche Bhanu (Surya) sei oben, der
unterhalb des Gaumens befindliche Sasin (Candra) sei unten. Diese
Viparitakarani genannte Übung ist durch die Anweisung des Lehrers zu
erlernen.“
Hatha-Yoga-Pradipika, 3:79
„Man bringe den Kopf und die gefalteten Hände auf den Boden und hält,
in unbeweglicher Stellung die Füße nach oben. Das gilt als
Viparitakarani.“
Gheranda-Samhita, 3:35
Wirkungen
Die Wirkungen lassen sich einteilen in
körperliche Wirkungen
Körperlich lassen sich vielerlei Wirkungen diskutieren. Als Umkehrstellungen kommen dem Gehirn viele Vorteile zu. Da das Blut besser zum Gehirn fließt, wird dieses besser mit Nährstoffen und Sauerstoff versorgt. Da jedoch die Masse des Blutes und die damit verbundene Druckerhöhung im Kopf steigt, ist diese Übung für Menschen mit Bluthochdruck absolut kontraindiziert! Ebenso für Menschen, die an Herzkrankheiten leiden. In dieser Übung wird dem Blutandrang durch Jalandhara-Bandha entgegengewirkt. So wäre es nicht ratsam, den Kopf auf den Scheitel zu stellen, da hierbei das Blut rasch und stark in den Kopf gelangt. Der Kopfdruck würde ungünstig ansteigen. Durch Jalandhara-Bandha werden die Halsnerven und die Nerven des vegetativen Systems des Parasympathikus im Halsmark aktiviert. Dies führt zu einer Verlangsamung des Blutflusses und somit wird der Kopfdruck reguliert. Das Blut fließt langsamer und das Gehirn kann dadurch mehr Sauerstoff und Nährstoffe herausziehen. Durch diese Stellung wird die Hypophyse aktiviert, welche eine wichtige Funktion in der hormonellen Steuerung besitzt. Die Hypophyse setzt Hormone frei, die die anderen Drüsen im Körper regeln.
Im Kopfstand fließt venöses Blut aus den Beinen heraus, sodass die Beine entlastet werden. Die ist besonders gut für Menschen, die viel stehen oder unter Krampfadern oder anderer venöser Störungen leiden.
Das Blut fließt einfacher zum Herzen, wodurch das Herz mehr „Arbeit“ bekommt und so gestärkt wird. Bei Menschen mit Herzerkrankungen oder Bluthockdruck ist dies allerdings schlecht und hier stellt der Kopfstand eine absolute Kontraindikation dar.
In der Haltung wird die Atemfrequenz vermindert und durch Blockierung der Schlüsselbeine und des oberen Brustkorbs, die Bauchatmung gefördert. Durch Jalandhara-Bandha wird der Rücken und die Wirbelsäule gekrümmt und man verspürt in der Stellung einen Druck am unteren Ende der Wirbelsäule. Spannungen im Rücken werden gelindert und der Rücken gestreckt. Wer jedoch Erkrankungen und Probleme der Halswirbelsäule hat, sollte mit dieser Übung vorsichtig sein und eventuell einen erfahrenen Yogaübenden zu Rate ziehen.
seelisch-geistige Wirkungen
Der Kopfstand führt uns in eine andere Dimension und Sichtweise für das Leben. Betrachten wir einmal die Haltung in dieser Position, so sehen wir etwas für uns sehr Ungewöhnliches:
Diese Position stellt alles Leben wortwörtlich auf den Kopf. Der Mensch ist heutzutage fest verwurzelt im materiellen Leben. Nur wenn man mit beiden Füßen auf dem Boden steht hat man Gleichgewicht und Stabilität. Würde man seine Wurzeln und sein Vertrauen nur in den Himmel oder das Universum setzen, so würde Ängste entstehen. Wir sind sehr erdverhaftet und oft fehlt uns die geistige und spirituelle Kraft, Vertrauen in das Leben zu setzten. Mit Hilfe des Kopfstandes können wir uns von diesen materiellen Wurzeln kurzzeitig lösen und loslassen. Man hat vielleicht anfangs das Gefühl, dass man die Wurzeln des Baumes herausreißt und dieser nun nicht mehr genährt werden kann. Dieses Bild löst sich jedoch meist rasch wieder auf.
Bevor man in diese Übung hinein geht, kommen manchmal Gedanken wie
Ja, dieser Halt, dem wir dem materiellen Leben anvertrauen, fehlt uns im geistigen. Würde uns alles Materielle im Leben genommen, so würden wir untergehen. Doch wir vergessen die spirituelle Kraft des Kosmos. Lassen wir uns körperlich entwurzeln und strecken die Füße zum Himmel, so ragen unsere Wurzeln nach oben und wir können nun geistige und spirituelle Nahrung aufnehmen, die uns viel mehr gibt und nähren kann. Wir haben hier die Möglichkeit, einmal unser gesamtes Leben auf den Kopf zu stellen und neue Perspektiven zu erlangen. Aus dem Kopfstand heraus scheint alles anders und neu zu sein, obwohl wir ja nur den Blickwinkel geändert haben. Ängste, die aufgrund des körperlichen Aspektes der Übung entstehen sind wichtig. Dies schützt den Übenden davor, zu schnell und unachtsam in die Übung hinein zu gehen. Hat man andererseits zu viel Angst, so traut man sich nicht hinein.
Manche Menschen versuchen dann, sich Sicherheit zu geben und seine Wand als Hilfestellung zu verwenden. Diese Wand sollte – wenn überhaupt – nur als „Umfallschutz“ verwendet werden. Niemals als Standhilfe. Steht man im Kopfstand und die Füße sind dabei an der Wand, so beübt man keine Muskulatur und es besteht immer die Gefahr, dass man zu lange steht. Dadurch kann die Halswirbelsäule überfordert werden und durch den zulange bestehenden Druck geschädigt werden.
feinstoffliche Wirkungen
Der Hauptaspekt für die Ausführung von Viparita-Karani-Mudra ist die Auswirkung auf das Muladhara-Chakra. Der Yogi versucht in seiner Übungsphase, die mystische Kundalini-Kraft zu erwecken. Die funktioniert nur mit Prana. Prana ist sehr subtil und steigt immer auf. Im „normalen“ Leben nehmen wird Prana durch unsere Atmung auf und geben durch Atmung und Lebensweise wieder Energie ab. Im Kopfstand steigt Prana ebenso nach oben, doch nun in den Unterleibt, wo sie beginnt, sich zu sammeln. Dadurch wird Bewegung in das Muladhara-Chakra und dessen Kräft gegeben. Weiterhin verhindert der Kopstand, dass der Nektar der Unsterblichkeit, welcher im Kopf gebildet wird, in das Verdauungsfeuer Agni tropft und dort verbrennt. Diese Übung, so sagen die Yogis, führt dadurch zu langem Leben und man schreibt ihr eine verjüngende Wirkung zu.
„Jeden Tag übe er dies einen Kshana länger, so wird man nach sechs
Monaten an seinem Körper weder Runzeln noch graue Haare sehen;
wer es einen Yama lang übt, der besiegt den Tod.“
Hatha-Yoga-Pradipika, 3:82
Ausführung
Binde ein Tuch von 100 x 160 cm zu einem Genduri zusammen und lege diesen auf den Boden. Nehme nun deine Finger und Hände zusammen, halte die Daumen an die Nase und schiebe die Finger am Kopf nach oben. Die Stelle, an der die Handkanten den Kopf berühren, ist die Stelle wo der Kopf auf den Genduri gelegt wird. Knie dich hin und lege die Unterarme auf den Boden. Umfasse die Ellenbogen, öffne die Unterarme und falte die Hände. Die gefalteten Hände bilden ein Körbchen und die Arme ein gleichseitiges Dreieck. Dieses stabile Dreieck ist deine Basis. Lege den Kopf an der abgemessenen Stelle auf den Genduri und den Hinterkopf in das Körbchen. Wandere mit den Knien nach vorne und strecke dann die Beine. Wandere mit den Füßen noch etwas nach vorne. Winkele die Knie an, so dass die Fersen an das Gesäß kommen. Strecke die Oberschenkel senkrecht nach oben und strecke dann die Knie durch. Lasse den Kopf und den Nacken stabil ruhen. Atme ruhig. Versuche in der Stellung einen Druck am unteren Rücken zu erzeugen. Hast du diesen Punkt, so spürst du, dass deine Stellung stabil ist. Nun könnte man beginnen, Bewegungen mit den Beinen durchzuführen.
Beendest du den Kopfstand, so stehe direkt danach auf und mache mindestens zehn Mal mit gestreckten Armen die Hände und Finger kräftig auf und zu. Danach massiere deinen ganzen Körper von unten nach oben. Gehe dann in Shavasana. Liegt dort, solange du im Kopfstand warst. Durch das Bewegen der Finger kumuliert Prana im Unterleib und verhindert, dass Prana wieder aufsteigt und verpufft. Die Massage belebt und reguliert die feinen Blutgefäße.
Wenn es die Intention des Übenden ist, den Kopfstand täglich längere Zeit zu üben, so sollte er eine lacto-vegetarische Ernährung einzuhalten. Die wird im Folgenden diskutiert. Bei länger als zehn Minuten täglicher Praxis wird zusätzlich empfohlen, den Samen in sich zu behalten.
Ernährung
Möchte man als Übender den Kopfstand längere Zeit ausüben und auch die Dauer der Stellung verlängern, so wird empfohlen, eine rein lacto-vegetarische Kost mit viel Milch und Ghee einzuhalten. Da der Kopfstand eine sehr intensive Übung ist, die alle Körperteile und den Kreislauf stark beansprucht, braucht dieser zur Regeneration Nährstoffe. Die Kost sollte reich an Prana und sattwig sein.
Kopfstandhocker
In einigen Richtungen des Yogas wird ein sogenannter Kopfstandhocker oder FeetUp-Trainer verwendet. Hierbei soll der Übende einmal das umgekehrte Stehen kennen lernen. Geht man nur für Sekunden hinein, so ist es vielleicht als positiv zu sehen. Bei längerer Ausführung könnte man sich Gedanken machen. Eines ist zu Beispiel die Bezeichnung. Wird diese Übung als Kopfstand bezeichnet, so fragt man sich „Warum stehe ich dann nicht auf dem Kopf?“. An dieser Stelle ist der Name FeetUp besser geeignet. Steht der Übende nicht auf dem Kopf, so werden die wichtigen Nackennerven nicht bearbeitet. Dies führt dazu, dass vermehrt Blut in den Kopf strömt, was nicht vorteilhaft ist. Trotz allem könnte man natürlich Jalandhara-Bandha ausführen, aber es ist viel zu mühsam und vor allem geht viel positiver Druck auf die Nackennerven verloren. Dadurch kommt es zu keiner guten Verbindung von Oben und Unten, Kopf und Unterleib, welches ein wichtiges Kriterium für die Übung darstellt. Weiterhin kann die natürliche Krümmung des Rückens fehlen, was sich wiederum nicht positiv auf die Nerven auswirkt. So wäre es zu überlegen, diese Art der Hilfsmittel zu verwenden. Es zeigt sich manchmal an dieser Stelle, dass das optische manchmal wichtiger ist wie der Effekt einer Stellung. Kommt der Mensch nicht in die Stellung hinein, so wäre es beispielsweise wichtig, langsam voran zu gehen. Gemäß dem Motto, der Weg ist das Ziel. Auf dem Weg des Lebens und des Übens erkennt man viele Geheimnisse. Wer an Erkrankungen beispielsweise des Nackens und Halses leidet, würde dadurch aufgefordert werden, sich mehr dem Nacken und dessen Gesundheit zu widmen, statt auszuweichen und alternative Dinge zu üben, die den Nacken nicht bearbeiten. Eine Verhaltensart der Menschheit ist es, auszuweichen, wenn es schwierig wird. Lieber weniger und langsam, statt schnell und unachtsam.
Hier stellt sich einem die Frage in den Weg, die man sich oft im Yoga stellt:
Und in Bezug auf den Kopfstand
Mit dieser Übung kann sich die Sichtweise des Lebens und die Betrachtung des Lebens ändern. Die erfordert viel Mühe und Anstrengung dies körperlich und vor allem seelisch zu verarbeiten.
Doch letztendlich muss dies jeder für sich entscheiden, ob diese Übung in das (Yoga-)Leben passt oder nicht? Beim Üben ist es wichtig, eine Grundlage zu schaffen. Auf körperlicher und auf seelisch-geistiger Basis sollte dies geschehen. Geht man zu schnell voran, so können sich Verletzungen oder seelische Krisen entwickeln. Jeder kann sich die Frage stellen, ob er das so „schnell und extrem“ möchte oder nicht. Beim Kopfstand gehen viele Meinungen auseinander und so ist jeder Übende gefordert, das wahre Wissen für sich herauszufinden. Auf dem Kopf, auf den Füßen, im Leben und auf der Matte.