Natürliche Wege
Die Samkhya-Philosophie nennt zwei grundlegende Gegensätze, aus denen alles im Universum entsteht: Purusha und Prakriti. Die Erkenntnis über diese zwei grundlegenden Instanzen ist nötig, um zur Erlösung von den Leiden zu gelangen. Der Purusha wird als das passive Element gesehen. Er stellt den stillen Beobachter dar, der mit Nichts und Niemanden verhaftet ist. Es ist das göttliche Bewusstsein. Die Prakriti wird als aktives Element gesehen. Sie stellt die Urnatur dar und besteht aus den drei Gunas Rajas, Tamas und Sattwa. Sind die Gunas im Gleichgewicht, so ruht das Universum in der Prakriti (Mula-Prakriti). So wie die Pflanze im Samenkorn vorhanden ist, ist das Universum in Prakriti enthalten. Kommt die Urnatur in Kontakt mit dem Purusha, so entsteht Impuls zur Bewegung und die Welt beginnt zu entstehen. Dies ist ein natürlicher Prozess, der von einer höheren Kraft gelenkt wird. Der Mensch, der ein Ego besitzt, hat sich von dieser natürlichen Bewegung entfernt und fließt nicht mehr im Strom der Natur mit. Das Ego möchte das Leben in eine gewisse Richtung lenken. Diese steht jedoch oft nicht im Einklang mit der universellen Kraft. So entsteht durch Handlung Karma. Das Karma führt wieder zu Handlungen wider den natürlichen Prozessen. Dies ist der Kreislauf der Wiedergeburten, der den Menschen an diese Welt bindet. So entstehen Leid und Unzufriedenheit. Viele Menschen kennen oder erkennen diese Zusammenhänge nicht und leiden dadurch. Der Suchende, der diesem Kreislauf entrinnen möchte, macht sich auf den Weg zurück nach Hause. Dieses „Zuhause“ erfährt er durch die Auflösung der Dualitäten. In diesem Ursprung, der Quelle des Universums findet er Frieden. Doch der Weg zur Quelle ist in der Regel mühsam und anstrengend. Der Fluß des Lebens und der Evolution geht abwärts, dem Lauf des Flusses hinab. Der Suchende macht eine Kehrtwendung und geht den Berg hinauf zur Quelle. Ähnlich einem Bergsteiger, der am Gipfel des Berges nach guten Feelings sucht. So sucht der Yogaübende nach der universellen Glückseligkeit Ananda. Der Weg hinauf verlangt nach Bemühung, denn es geht bergauf. Auf diesem Weg finden sich nicht so viele Menschen, so dass der Weg zeitweilig sehr einsam werden kann. Keine Menschen zum Fragen, was man tun soll und jede Menge Zweifel, ob das der „richtige“ Weg ist. Die Bemühung wird immer belohnt. Jedoch sieht man dies oft nicht. Es kommen Hindernisse auf unserem Weg. Diese Hindernisse hat Patanjali in seinen Yoga-Sutras bereits erwähnt. Das erste Hindernis auf dem Yoga-Weg bezeichnet er als Krankheit oder Unwohlsein. Einen Zustand unguter Gefühle und Empfindungen, die aufgrund der neuen Umstände entstehen. Altes muss losgelassen werden, damit neues aufgenommen werden kann. Dieser Zustand kann in manchen Fällen zu Problemen führen, dass wir gerne an die alten Gewohnheiten und Umstände festgebunden sind und anhaften. Loslassen ist oft ein schwieriger Prozess, der mit körperlichen und/oder seelischen Schmerzen verbunden ist. Hier kann einen leicht der Mut verlassen. So wie es Arjuna auf dem Schlachtfeld von Kurukshetra ging. Mutlosigkeit hatte ihn befallen als er die beiden Kriegsparteien, seine Verwandten und Freunde, gegenüberstehen sah.
Ein neuer Weg würde in eine andere Richtung gehen und beide Wege (den neuen und den alten) kann man unmöglich gleichzeitig gehen. Im Yoga wird die Umkehr auf dem Weg mit den Umkehrübungen (Kopfstand, Schulterstand), der Khecari-Mudra oder Uddiyana-Bandha verbunden. Man handelt nicht so wie immer, sondern ändert die Richtung. Ebenso würde der Yogi versuchen, den natürlichen Fluss des Samens umzukehren und diesen in sich bewahren. Bei einer Frau wäre dies das Menstruationsblut, welches im Körper gehalten werden sollte. Diese Aussagen würden der heutigen materiellen und medizinischen Sichtweise natürlich entgegenstehen. An dieser Stelle muss man sich entscheiden und konsequent den Weg beschreiten. In manchen Phasen des Lebens entscheidet auch einmal das Leben oder Schicksal für einen. Lebenskrisen, schwere Erkrankungen oder Trennungen und Tod zerbröseln das Leben und verlangen dadurch nach einer neuen Sicht- und Handlungsweise. In diesen Phasen erkennt man, dass der alte Weg nicht mehr weiter gegangen werden kann. Eine neue Richtung sollte eingeschlagen werden. Nach diesen Rückschlägen hat der Mensch die Möglichkeit von Vorne zu beginnen. Das Alte ist kaputt und nun kann etwas ganz Neues aufgebaut werden. Diese Lebensphasen sind anstrengend und erfordern viel Einsatz. Aber es lohnt sich. Die göttliche Kraft möchte, dass wir uns entwickeln und den Weg zum Göttlichen finden. Dies ist der natürliche Fluss. Die Quelle saugt uns sozusagen an. Doch aufgrund des Egos und der damit verbundenen Anhaftung an die materielle Welt wenden wir uns immer wieder ab und gehen entgegen dieses Sogs. Lässt man los und gibt sich dem natürlichen Fluss des Göttlichen hin, so kann man vielleicht direkter dorthin 😊 Der Yoga hilft dabei, diesen natürlichen Weg zur Quelle zu erkennen, sich zu öffnen, anzunehmen, und loszulassen.
Wie bereits erwähnt: beide Wege kann man nicht gehen!!! Dies führt gerne dazu, dass der Yoga angepasst wird. Übungsweisen werden verändert, die Lebensregeln werden modifiziert und man lässt die Disziplin locker. Natürlich ist der Weg anstrengen und mit loslassen verbunden. Da sind Schwierigkeiten, die nicht jeder so einfach bewältigen kann. Ebenso bestimmte Asanas, die man nicht (vielleicht niemals in diesem Leben) ausführen kann. Hinzu kommt der zeitliche Aspekt. Nicht jeder hat viele Stunden am Tag zeit zum Üben. Aber darum geht es gar nicht. Jeder Mensch übt für sich und versucht sein bestes zu geben. Wenn man Dinge nicht schafft, ist es kein Problem und man versucht es weiter oder macht stattdessen andere Übungen, die zu schaffen sind. Doch deshalb muss man nicht die Grundstrukturen des Yoga verändern und anpassen. Hier finden wir zum Beispiel folgende Strategie: setzt man das Ziel oder die Schwierigkeit herab, so erscheint es als ob man besser dasteht. Darum geht es im Yoga wohl nicht. Aus Sichtweise des Yoga geht es keinesfalls um besser oder schlechter, sondern darum, dass man sein bestes gibt und sich nicht mit anderen vergleicht. Be- und Verurteilen passt nicht zum Yoga. Deshalb sollte man üben und sein bestes geben. Das Göttliche, dem man sich hingibt, macht den Rest! Hingabe an das Göttliche, Ishvara-pranidhana. Hingabe ist der Zustand, indem das Leben so fließt wie es für uns gut ist. Keine Einmischung des Egos in den Lauf des Lebens. Hingabe beinhaltet das stille Beobachten dessen was geschieht. Ohne Erklärungen und rationalen Rechtfertigungen. Die nennt man in der esoterischen Szene soviel wie Achtsamkeit oder im Hier und Jetzt sein. Sobald man versucht, etwas zu erklären ist man nicht mehr im Hier und Jetzt. Jede Erklärung basiert auf unseren Erinnerungen, dem was wir gelernt haben……und viele Dinge haben unterschiedliche Menschen anders gelernt………Aus der Erinnerung entstehen Gedanken, die jedoch nur aus Worten bestehen. Worte können niemals das was vom Leben empfunden wird richtig beschreiben, da jeder Mensch individuell ist.
Der natürliche Weg des Lebens beinhaltet Geburt (Anfang), Leben (Verlauf) und Tod (Ende). Alles gehört zusammen und bildet ein Kontinuum. Aufnehmen, Erleben, Loslassen. Einatmen, Atempause, Ausatmen……………..So bleibt man im Fluss des Lebens, im natürlichen Lauf des Lebens. Yoga ist die Suche nach der Einheit des eigenen Weges mit dem des Universums, der Umwelt und den anderen Menschen. Die Einheit von Körper, Geist und Seele.
„Treib´ den Fluss nicht an, lass´ ihn strömen“
(Lao Tse)